Den Ausgangspunkt der vorliegenden Werkgruppe von Bernhard Kunkler bildete eine Reise durch die Zentralmongolei, welche der Künstler im Frühjahr 2016 unternommen hat. Sechzehn Tage lang durchzog er auf dem Rücken eines Pferdes das nur dünn besiedelte, weitläufige und zerklüftete Land in Zentralasien. Die nach der Reise im Freiburger Atelier entstandenen Werke zeigen dennoch keine Landschaften im herkömmlichen Sinne. Es ist eher so, als habe der Künstler den Emotionen nachgespürt, die sich während der Reise in sein Gedächtnis eingegraben haben. Ein Werk wie das in Ocker-, Orange- und Brauntönen aufgebaute »Archaisch« zeigt sehr gut, wie sich das Erleben von Natur und der Akt der Wahrnehmung in den Kompositionen niedergeschlagen und sie beseelt hat.
Bernhard Kunkler ist ein Mensch der Farbe, er ist ganz und gar Maler, Kolorit und nicht Kontur ist sein Thema. In Bildern wie »Fülle«, »Spiel« oder »Melancholie« präsentiert er sich geradezu als Forscher und untersucht die verschiedenen Farbeigenschaften und ihre Wechselwirkungen. Mit den Mitteln der Malerei, also über das Verhältnis von Struktur und Fläche sowie über das Zusammenspiel von Farbklängen und -kontrasten entsteht ein Gebilde, das nicht nur durch die fertige Form besticht, sondern auch Einblick in seine Entstehung gewährt. In dieser Prozesskunst spielt der Zufall eine Rolle, die Bildfindung gestaltet sich als Vorgang, in dem eine Pendelbewegung zwischen automatischen und reflektierten Verfahren stattfindet. Farbrinnsale strömen nach unten, die geöffneten Bildräume dehnen sich über die Ränder seiner großformatigen Leinwände hinweg aus und vermitteln den Eindruck von Grenzenlosigkeit. Ein Gefühl, das der Künstler angesichts der Weite der mongolischen Landschaft empfunden haben mag.
Reisen ist für Kunkler ein »Stück Annäherung an die Eindrücklichkeit eines Ortes«. Der Versuch, diese Form der Annäherung in seine Malerei zu übersetzen und dabei eine Entsprechung für das Gesehene zu finden, treibt den Künstler an. Dazu benötigt er keine Fotografien oder Skizzen der von ihm besuchten Orte. Es gibt nur kleine Notizbucheinträge, welche die während der Reise erlebten Situationen knapp fixieren. Zu jedem Bild gibt es also einen konkreten Anlass. Das von Gelbtönen dominierte Bild »Flirrende Hitze« bezieht sich beispielsweise auf einen Tag, an dem sich der späte Vormittag der lähmenden Hitze ergab. Die Komposition »Aufgelöst«, die sich aus Orange und verschiedenen Blautönen fügt, hat mit der gewaltigen Bewegung am Himmel während eines Sturms zu tun. Das Bild »Mäandern« entstand aus der Erinnerung an einen Flusslauf, der nach tagelangem Regen über die Ufer getreten war.
Bei der Arbeit an der Leinwand ruft Kunkler diese Eindrücke wieder in sich auf. Dabei erlebt er, wie die Vorstellung von dem, was er als Erinnerung im Kopf hat, sich während des Malvorganges permanent verändert. Es treffen quasi zwei verschiedene Realitätsebenen aufeinander. Diese Reibungsfläche lässt naturgemäß nichts Statisches entstehen, eher erleben wir die kurze Momentaufnahme eines Prozesses, der sich beständig fortsetzen könnte. Das Betrachten des Bildes wird zu einer Reise, die durch einen Fluss von Eindrücken führt.
Die Komposition »Aufgelöst« zeigt exemplarisch, wie sich Bildspannung aus dem Zusammentreffen von großen, monochromen Flächen und kleinteiligeren Bereichen entwickelt. Kunkler arbeitet mit Acrylfarben, die nicht nur mit dem Pinsel aufgetragen, sondern auch aufgeschüttet werden. Auf diese Weise entstehen verschiedene Sehzonen. Die Farbe zeigt sich sowohl in matter Zartheit als auch stark glänzend. An einigen Stellen ist die Farbe so dünn, dass tiefer liegende Schichten an die Oberfläche dringen. Neben diese transparenten Abschnitte treten pastose Bereiche, welche die unteren Zonen hermetisch überlagern. Meisterhaft ausbalanciert ist das Ziehen und Schieben, das Kräftespiel von verschiedensten Farbkontrasten und der permanente Wechsel von offenen und geschlossenen Bildräumen. Damit tritt auch ein Zeitfaktor ins Bild, welcher der Überlagerung und dem Verblassen von Erinnerung entspricht. Beim Malvorgang erlebt der Künstler, wie ein Teil seiner Reiseerlebnisse nach und nach in den Hintergrund tritt, während ein anderer extrem präsent und sehr konkret vorhanden bleibt.
Das Bild »Laut und leise zugleich« legt es nochmals unmissverständlich offen: Es geht Kunkler um den Ausgleich von gegensätzlichen Kräften, etwa von Farbkontrasten wie Hell und Dunkel, Warm und Kalt. Dieses Changieren führt dazu, dass die Farben nicht ruhig auf ihrem Untergrund stehen bleiben, sie treten nach vorne oder ziehen sich zurück. So lässt die Auswahl und Setzung der Farbe in diesen Bildern eine Form von Räumlichkeit entstehen, die vollständig auf die Wirkung perspektivischer Verkürzung und Überschneidung verzichten kann. Es entsteht ein energetisch aufgeladenes Gebilde, das als "Farbraum" beschrieben werden kann. Dieser Raum bezieht auch den Betrachter ein, indem er dazu einlädt, ihn mit den Augen zu betreten.
Bernhard Kunklers Vorgehen ist schnell und langsam zugleich. Jeder neue Farbfleck macht eine Reaktion notwendig, die wiederum nach einer Gegenreaktion verlangt, damit die innere Bildharmonie gewahrt bleibt. Manches geschieht im schnellen Zugriff, doch oftmals muss intensiv nachgedacht werden. Der Künstler prüft sein Vorgehen genau, fragt sich: Wann ist das Bild ein Bild? Wann hält die Komposition zusammen und wann bricht sie auseinander? Und ganz wichtig: Wann ist das Bild fertig? Deckt sich die Wirklichkeit auf der Leinwand mit der Wirklichkeit des im Kopf gespeicherten Bildes?
Man braucht Zeit und Abstand, um sich den Werken Bernhard Kunklers nähern zu können. Und bevor man sich selbst auf das Wagnis einer Reise durch diese Urgründe einlässt, sollte man das gänzlich Unbekannte als eine andere Form der Realität anerkennen. Wenn die Augen dann aber in diese opulenten Farbräume eintreten, dann entfaltet die Schönheit von Farbe und Form eine geradezu meditative Wirkung.
Dr. Antje Lechleiter
A journey through central Mongolia in the spring of 2016 is the starting point of the present cycle of the artist Bernhard Kunkler. For sixteen days he traveled through the sparsely populated, vast and rugged country in Central Asia. The artworks, which he created after this journey in his Freiburg studio, nevertheless, do not show landscapes in the conventional sense. The artist rather traced the emotions he experienced during his journey and that had remained in his memory. A work such as »Archaisch« composed of shades of ochre, orange and brown very well shows how the nature experience and the act of perception are reflected in his compositions and inspired them.
Bernhard Kunkler is a person who loves color. He is a painter with all his heart. His subject is coloring not contour. In paintings such as »Fülle«, »Spiel« or »Melancholie« he presents himself as explorer examining the various color characteristics and their interactions. By the means of painting, that exercises the relation of structure and surface as well as the interplay of color resonance and contrasts, an artwork is developed, which not only impresses in its final form, but also by giving insights into its formation. Chance plays a crucial role in this process art, the pictorial composition is a process swinging between automatic and reflected action. Paint trickles are flowing downwards, open pictorial spaces are extending beyond the edges of large canvas conveying a sense of infinity, a feeling the artist may have experienced in the vastness of the Mongolian landscape.
For Kunkler, traveling is »a way of approaching the impressiveness of a place«. The attempt to translate this approach into his oeuvre and thus to find an equivalent of what he has experienced motivates the artist. To do so he does not need photographs or sketches of the places he visited. There are only little notes shortly outlining the situations experienced during the journey. There is a special reason for every painting. The painting »Flirrende Hitze«, which is dominated by shades of yellow, relates to a very hot afternoon. »Aufgelöst«, which is composed of orange and various shades of blue, reflects the enormous movement of the sky during a storm. The painting »Mäandern« was created remembering a river current bursting its bank after days of rain.
When working on canvas, Kunkler recalls these impressions and experiences how the idea of his memories is permanently changing during the process of painting. There are two different levels of reality, a source of friction not leading to something static, but to a process which could go on forever. Looking at the picture turns into a journey leading through a multitude of impressions.
The composition »Aufgelöst« is an example showing how tension in a painting is developing when big monochrome surfaces interact with more detailed areas. Kunkler is working with acrylic paint, not only using a brush, but also pouring paint onto canvas. In this way various visual zones are created. Color shows itself in muted tenderness as well as intensely gleaming. In some parts, the color is so thin that underlying layers emerge to the surface. Beside these transparent sections, pastose structures appear, which hermetically overlap the underlying areas. The pulling and pushing, the dynamics of various color contrasts and the permanent shift of open and closed visual space is masterly balanced. This adds a time factor to the painting which corresponds to the overlapping and fading of memory. While painting, the artist experiences how parts of his travel experiences are pushed in the background while others remain extremely present.
The painting „Laut und leise zugleich“ shows it again: Kunkler is interested in the equilibrium of opposing forces, color contrasts such as light and dark, warm and cold. This shifting leads to the effect of colors moving forwards or stepping into the background. They are never calm on the canvas. Thus, the range and coloring of these paintings leads to a form of spatiality which does not need the effect of perspective reduction or overlapping. An energetically charged structure develops, which can be described as »Farbraum« (color space). This space also includes the viewer by inviting him/her to enter it with his/her eyes.
Bernhard Kunkler’s approach is fast and slow at the same time. Each new color stain demands a reaction, which, in turn, asks for a counter-reaction so that the inner harmony of the painting can be preserved. Some things happen fast, but often intensive reflection is necessary. The artist reflects his approach, asks himself: When is the painting a painting? What is the optimal composition? And, most important, when is the painting ready? Does the reality on canvas reflect the reality of the imagined picture in the artist’s head?
One needs time and distance to approach the works of Bernhard Kunkler. And, before one starts this journey, one should accept the unknown as another form of reality. If the eyes then enter these opulent color spaces, the beauty of color and form unfold an almost meditative force.
Dr. Antje Lechleiter